Ein paar Wochen nach der Tiefen Hirnstimulation sprachen wir erneut mit Hannie von Leeuwen. Lesen Sie weiter und erfahren Sie, wie es ihr seit dem Absetzen der Medikamente und der schweren Gehirnoperation ergangen ist.
„Sie sprechen jetzt praktisch mit einer anderen Frau als vor der Operation. Die Tiefe Hirnstimulation (THS) war meine letzte Hoffnung, trotz Parkinson noch ein einigermaßen ’normales‘ Leben führen zu können. Und es sieht tatsächlich so aus, als ob ich diesem Ziel ein ganzes Stück nähergekommen bin. THS ist für mich eine echte Wundertherapie, und ich bin sehr froh.“
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„Ja, ich bin vor dem neuen Lockdown sogar spontan mit meinem Mann in einer Kneipe etwas trinken gegangen. So etwas ganz Normales tun zu können, ohne lange nachzudenken, war vor der Operation undenkbar. Jetzt kann ich sogar wieder selbst einkaufen oder mit meiner Tochter ins Gartencenter gehen – wenn die Corona-Maßnahmen vorbei sind, meine ich natürlich. Plötzlich habe ich wieder so viele Möglichkeiten. Wenn man bedenkt, wie es mir in der Woche ging, als die Medikamente abgesetzt wurden …“
„Ich hatte Angst davor und es war ein echter Rückschlag, aber im Nachhinein war es das Leiden wert. Es ging mir Tag für Tag schlechter. Einmal am Tag kam die Physiotherapeutin, um mich eine Stunde lang zu Hause zu behandeln, das war schön. Doch ich fing an, immer mehr zu schlurfen, bekam mehr Krämpfe, lag nachts wach und die Schmerzen wurden immer stärker. Die Physiotherapeutin hat es mir schließlich verboten, alleine zu Hause zu bleiben, weil sie Angst hatte, ich würde stürzen.
Auch das Gehen wurde immer schwieriger. Nach fünf Tagen konnte ich praktisch überhaupt nichts mehr. Die Medikamente, die ich noch für die Nacht bekam, wirkten schon nach zwei Stunden nicht mehr, wenn ich wach wurde. Ich lag halbtot auf dem Sofa. Mein Mann rief daraufhin im Krankenhaus an und meldete: „Meine Frau kann weder gehen, sprechen oder die Augen offenhalten. Wir kommen.“. `Wenn die Operation nicht erfolgreich ist, bin ich komplett behindert‘, dachte ich. Die Erkenntnis, wie schlimm es wirklich um mich steht, war sehr heftig. Und traumatisch. Ohne die Medikamente – 32 am Tag, wie Sie sich erinnern – bin ich komplett behindert und habe praktisch kein Leben mehr. „Wird das wieder?“, fragte ich im Krankenhaus. Die Antwort war ´Ja´. Das hatte ich selbst kaum zu hoffen gewagt.“
„Die Nacht vor der Operation war unerträglich, ich war krank vor Krämpfen. Um 4 Uhr morgens fragte ich, ob ich bitte duschen könnte. Um 5.30 Uhr war es dann endlich soweit – ich zählte die Minuten. Ich war so glücklich, als ich endlich für die Operation abgeholt wurde. Ich war sehr entspannt und dachte nur eins: Ich will hier raus.
Alles rund um die Operation war sehr gut organisiert: Von Anfang an war eine Krankenschwester bei mir, die sich um mich kümmerte. Sie kam auch aus Westland und man konnte sehr gut mit ihr reden – wir haben uns auf Anhieb verstanden. Sie erklärte jeden einzelnen Schritt ganz genau, wie z. B. ´die Maske, die Sie gleich aufsetzen werden, tut zwar in bisschen weh, aber es dauert nur zwei Minuten´. Während des Screenings im Vorfeld der Operation musste ich mich einer MRT-Untersuchung unterziehen, für die ich komplett still liegen musste, zweimal acht Minuten lang und mit nach hinten gebeugtem Hals. Nicht angenehm, aber notwendig. Jedes Mal konnte ich einen Teil meiner ´Angst´ loslassen: wieder etwas, was ich geschafft hatte! Auf dem Scan selbst sahen die Ärzte keine Probleme, aber auf dem MRT am Tag der Operation wurde deutlich, dass ein Blutgefäß im Weg war. Die Ärzte wollten keine unnötigen Risiken eingehen und entschieden sich dafür, die THS im Gebiet der Dystonie und nicht der Parkinsonerkrankung durchzuführen.
Das Bohren in meinem Kopf war schon eine sehr seltsame Vorstellung. Man spürt es, auch wenn es nicht weh tut. ‚Gleich stoßen sie durch‘, hatte ich das Gefühl. Während der Hälfte der Operation ist man bei Bewusstsein, damit das THS so effektiv wie möglich eingestellt und hochskaliert werden kann. Ziel ist es, das System im Kopf so hoch wie möglich einzustellen. Hierzu musste ich ununterbrochen den Satz ‚Lieschen lehrte Lottchen laufen‘ aufsagen. Auf dieser Grundlage wurde das THS dann eingestellt. In meinem Fall war der Wert 6+ ideal; bei 7 bekam ich ein drückendes Gefühl und fing an, undeutlich zu sprechen. Außerdem musste ich alle möglichen Tests absolvieren: zum Beispiel einem Finger folgen oder mit meinen Fingern ‚tippen‘, das heißt mit dem Daumen abwechselnd die anderen Finger berühren. Das funktionierte auf beiden Seiten gut. In meinen Augen sind Chirurgen echte Künstler. Einfach großartig, wie sie Menschen mit ihrer Arbeit so enorm helfen können. Es war eine einmalige Erfahrung, dies zu einem Großteil ´mitzuerleben´. Ich glaube nicht, dass ich noch einmal etwas Spannenderes erleben werde.“
„Auch das war etwas ganz Besonderes: Hey, ich habe keine Schmerzen, mein Hals ist gerade und ich kann essen, ohne halb daran zu ersticken. Zuerst hatte ich noch Krämpfe im Rücken, aber die verschwanden, nachdem ich eine Nacht geschlafen hatte. Das waren die ersten ´Flitterwochen´-Tage nach der Operation. Danach habe ich mich wegen der Nachwirkungen der Narkose und des Grummelns in meinem Kopf drei Tage lang übergeben und viel geschlafen. Weil ich an einem Punkt fast dehydriert war, musste ich sogar an eine Infusion gelegt werden. Am Tag danach wachte ich um 5.30 Uhr morgens auf, putzte ich mir die Zähne und wusch mir das Gesicht. Ich fühlte mich wie ein völlig anderer Mensch!“
„Das war ein echtes Fest! Meine Kinder hatten das Haus sehr liebevoll dekoriert. Wir mussten alle vor Erleichterung weinen und waren so glücklich. Ich bin fast durch den Raum gerannt, nur weil ich es konnte. Anschließend habe ich mich aber ausgeruht und mit dem Empfang von Besuchern noch gewartet. In einer der ersten Nächte zu Hause musste ich mich noch übergeben, aber danach ging es mir gut und ich habe mich schnell erholt. Jetzt ist die Dystonie so gut wie verschwunden. Früher haben sich meine Hände und Füße immer verkrampft, aber das habe ich jetzt nicht mehr. Mein Hals war fünfzehn Jahre lang krumm und jetzt ist er wieder gerade. Ein Wunder, finden Sie nicht? Mein Mann hat mich als Invaliden ins Krankenhaus gebracht und nach der Operation bin ich selbst ins Auto gesprungen.“
„Das ist noch immer ein bisschen schwierig. Das Einstellen erfordert von mir viel Geduld, und die habe ich nicht wirklich … Die ersten beiden Male konnte ich zur Einstellung ins Krankenhaus gehen, aber danach musste ich es selber machen. Mit einer Fernsteuerung, wie bei einem Roboter. Ich muss damit üben, verschiedene Einstellungen ausprobieren und sehen, was sie bewirken. Natürlich hilft mein Mann mir dabei. Es kann zwischen sechs Monaten und einem Jahr dauern, bis wir die ideale Einstellung gefunden haben. Ich hatte gehofft, dass ich so eine Art Wunderpatientin bin, bei der es nach den beiden Malen im Krankenhaus gleich perfekt funktioniert, denn ich war ja so gut wie beschwerdefrei, aber die Wirkung ließ mit der Zeit nach.
Die eigentliche Anpassung beginnt erst nach vier Wochen. Ich merke schon, dass es etwas länger dauert, bis ich meine Einstellungen wieder anpassen muss, aber das ist ein gutes Zeichen. Nach jeder Anpassung habe ich wieder zwei Tage lang Nebenwirkungen: ich laufe komisch, bekomme Krämpfe und kann mit meinen Fingern nicht mehr ´tippen´. Doch danach habe ich wieder eine tolle Woche und niemand merkt, dass mit mir ´etwas´ nicht stimmt. Irgendwann werden wir schon das richtige Programm für mich finden, bei dem ich stabil bleibe. Ich muss nur noch ein paar Monate Geduld haben und mich genug erholen. Es wird schon alles gut. Ich bin so froh, dass ich mich für THS entschieden habe!”
„Ich habe mein Leben zurück. Es stellt sich wieder ein bisschen so etwas wie Normalität ein. Das grenzt für mich nach wie vor an ein Wunder. Bei der Physiotherapie muss ich regelmäßig einen Gehtest machen. Früher konnte ich nicht einmal zwei Meter gehen, und jetzt kann ich problemlos auf einem Bein stehen und springen. Ich freue mich so, dass ich wieder die kleinsten Dinge tun kann, die für andere Menschen ganz normal sind. Früher hatte ich Krämpfe in den Händen, und seit der Operation kann ich wieder meine Handgelenke drehen und die Finger zusammenführen. Ich kann Sachen vom Boden aufheben, beinah wieder rennen und vielleicht bald sogar wieder Tennis spielen. Ich kann meinen Kopf gerade halten und auf einem Stuhl sitzen, ohne dass ich meinen Kopf stützen muss. Früher habe ich mich durch den Tag gequält, bis ich um 16 Uhr zur Entspannung in die Badewanne konnte. Ich merke schon jetzt, dass sich das enorm gebessert hat. Leute sagen auch, dass ich jetzt viel ruhiger sitze.
Natürlich erhole ich mich noch immer von der Operation und meine Gleichgewichtsstörung ist nicht verschwunden. Doch es ist ein riesiger Unterschied: Ich kann wieder Wäsche waschen, ein paar Besorgungen machen und entspannt eine halbe Stunde lang draußen spazieren gehen – früher hielt ich das noch nicht mal fünf Minuten lang durch. Die Tatsache, dass ich zehn Tage nach der Operation spontan mit meinem Mann in eine Kneipe gehen konnte, zeigt, dass ich auch einen Teil meines sozialen Lebens zurückhabe. Ich bin ein sehr kontaktfreudiger Mensch und freue mich darauf, wieder spontan Freundinnen zu besuchen und nach Corona wieder auszugehen. Ich gehe davon aus, dass jetzt alles besser wird, deshalb haben wir schon zwei Sommerurlaube in Spanien gebucht. Das wird wunderbar, ich freue mich jetzt schon darauf!“.
In dieser 15-seitigen Broschüre, die speziell vom ParkinsonFonds Deutschland zusammengestellt wurde, finden Sie Antworten auf die folgenden Fragen über Tiefe Hirnstimulation.