Spenden
16 September 2016

Seit 41 Jahren Parkinson-Patient

Kalle Sallhofen, 50, und seit 41 Jahren Parkinson-Patient

Kalle-SallhofenKalle Sallhofen, blickt zurück auf sein Leben mit der Erkrankung und plädiert an die Parkinson-Forscher: „BITTE WEITERMACHEN, NICHT AUFGEBEN!!!“

Bei den meisten Parkinson-Erkrankungen sind die Ursachen nach wie vor unbekannt.

Doch bei einigen Fällen kann man die Auslöser nachvollziehen: Vererbung (Heredodegeneratives Parkinson), schwere Hirnverletzung (Traumatisches Parkinson-Syndrom), Nebenwirkung bestimmter Medikamente, Hirntumore, Enzephalitis oder eine andere Hirnhautentzündung (Postenzephalitisches Parkinson-Syndrom).

Kalle Sallhofen erkrankte vor 41 Jahren als 9-jähriger am letztgenannten Postenzephalitischen Parkinson- Syndrom, einem sogenannten sekundären (symptomatischen) Parkinson-Syndrom. Er ist überzeugt: ohne die Unterstützung seiner Familie wäre er bereits als Kind als Pflegefall abgestempelt worden – und dies auch bis heute geblieben.

Parkinson-Patient mit 9 Jahren

Herr Sallhofen sieht nur einen wesentlichen Unterschied zwischen seiner Parkinson-Erkrankung und Morbus Parkinson: „Beim Postenzephalitischen Parkinson-Syndrom ist meist schon alles kaputt, weil die Entzündung die dopaminergen Zellen in kurzer Zeit zerstört hat. Beim Morbus Parkinson ist es der mehr oder weniger langsame Fortschritt, die Beschwerden der Krankheit verschlechtern sich über viele Jahre langsam.“ Die Krankheit ist seit seiner Kindheit sein selbstverständlicher Begleiter: „Ich leide nicht an dem Parkinson-Syndrom, ich lebe damit, und sehe es eher als Teil von mir, gewissermaßen als Normalität. Es klingt vielleicht merkwürdig aber ich kann mir gar nicht mehr vorstellen ohne diese Krankheit zu leben, immerhin sind es jetzt fast 41 Jahre.“ Als er 9 Jahre alt war, stellte eine Gehirnhautentzündung seine Welt auf den Kopf: „Es begann mit normalen Grippe-Symptomen, als ich dann aber die Kontrolle über meine Beine verlor, hieß es, ab ins Krankenhaus.“ Eine Punktion brachte schließlich die schlimme Wahrheit ans Licht: eine unheilbare virale Gehirnhautentzündung, aus der sich das Postenzephalitisches Parkinson-Syndrom entwickelt hatte: „Aus der heutigen Sicht war die Diagnose ganz schön heftig und klang, salopp gesagt, nach einem Totalschaden. Mit meinen 9 Jahren hatte ich keine Ahnung, was mit mir passiert war. Damals glaubte ich noch, dass das alles vorübergehen und ich wieder ganz gesund werden würde.“

Die Pflegefamilie war seine Rettung

Herr Sallhofen hatte Glück im Unglück. Seine Kindheit verbrachte der Junge Kalle in einem Kinderheim. Kurz vor Ausbruch der Krankheit meinte es das Schicksal besonders gut mit ihm, denn er hatte bei herzensguten Pflegeeltern und ihren Kindern ein neues Zuhause gefunden. In dieser neuen Familie fühlte er sich sehr wohl und angenommen. Der Fürsorge und Beharrlichkeit dieser Familie ist es zu verdanken, dass Kalle Sallhofen heute ein normales Leben führen kann. Das, was geschehen wäre, hätte er damals noch im Kinderheim gelebt, möchte sich Herr Sallhofen gar nicht erst vorstellen: „Eines ist so gut wie sicher, ohne meine Pflegefamilie wäre ich möglicherweise immer noch ein Pflegefall. Ganz besonders meine Pflegemutter hat nie lockergelassen und immer motivierend und gleichzeitig fordernd auf mich eingewirkt. Und was fast noch wichtiger war: sie hat sich von den Ärzten nicht abwimmeln lassen.“

Seit frühester Kindheit ist Herr Sallhofen also in hohem Maße auf die Einnahme starker Medikamente angewiesen, ohne die alle Bewegungsabläufe extrem verlangsamt wären: „Kein Sprechen mehr, kein Gehen, kein gar nichts mehr. Hinzu käme die Muskelsteife (Rigor) und das Zittern (Tremor) fast über den ganzen Körper (hauptsächlich linksseitig), die typischen Parkinson- Symptome halt, eine wahre Tortur.“

Ein selbständiges Leben

Kalle Sallhofen hat es geschafft, sich trotz seiner schweren Erkrankung ein finanziell unabhängiges Leben aufzubauen. 21 Jahre lang hat er als Postbank-Beamter im mittleren Dienst gearbeitet und sattelte danach auf EDV-Technik um. Neben dem enormen Einsatz seiner Familie war es die Entdeckung der positiven Wirkung des Nikotins, welches die Zuverlässigkeit und Dauer der Medikamentenwirkung steigerte, die ihm diesen Erfolg ermöglichten: „Ich bin davon überzeugt, dass ich es ohne Nikotin nie geschafft hätte, selbstständig zu werden, geschweige denn einen Beruf auszuüben.“ Mit 16 Jahren rauchte Kalle Sallhofen zum ersten Mal und war verwundert, als ihn ein Klassenkamerad bald fragte, ob er ein neues Medikament einnähme, weil er plötzlich deutlicher sprechen und besser laufen würde. Doch weil ihm das Rauchen nicht besonders gefiel und ihm auch nicht schmeckte, ließ er es wieder sein. Merkwürdiger Weise schien seine Sprache daraufhin tatsächlich wieder verwaschener und laufen konnte er auch nicht mehr so gut. Also hat er wieder eine „Kippe“ angezündet und bewusst geraucht. Jetzt spürte er selbst, wie das Rauchen seine Symptome besserte. Es war wunderbar, endlich konnte er etwas planen und musste nicht auf die richtige Wirkung der Tabletten hoffen, die meistens ausblieb. Wieder zu Hause, erzählte er seinen Pflegeeltern davon, die aber, genauso wie sein Neurologe, nichts davon wissen wollten. „Also rauchte ich heimlich weiter bis ich 18 war. Dann aber forderte ich mein Recht ein, selber darüber entscheiden zu dürfen.“

Anerkennung seiner Nikotin Theorie

30 Jahre lang suchte er erfolglos einen Arzt, der sich mit seiner Theorie auseinandersetzen wollte: „Immer wieder bin ich gegen Wände gelaufen. Von vielen Ärzten musste ich mir einen Vogel zeigen lassen.“ Er schrieb an Kliniken mit neurologischen Forschungsabteilungen – ohne Antwort zu erhalten. Als er im Sommer 2014 an das Uni-Klinikum Marburg schrieb, hatte er kaum noch Hoffnung. Doch es kam anders: „Schon am nächsten Tag bekam ich eine Mail von Professor Oertel persönlich, der mich zu einem Gespräch in seine Privatsprechstunde einlud. Er glaubte mir nicht nur, sondern war sichtlich fasziniert von meiner Geschichte und der Auswirkung von Nikotin auf meine Beweglichkeit. Er empfahl mir, es – statt mit Zigaretten – mit Nikotin-Pflastern zu versuchen.“ Diese erleichtern nun Herrn Sallhofens Alltag immens. Auf das Rauchen ist er kaum noch angewiesen und die Nikotin-Pflaster-Verwendung wirkt sich sogar entspannend auf seinen Gesichtsausdruck aus. Er hat einen weiteren Erfolg zu verbuchen: „Inzwischen konnte ich mit Hilfe des Professors und einem Rechtsanwalt meine Krankenkasse davon überzeugen, mir die Kosten für die Pflaster zu erstatten.“

Motivation und soziale Kontakte sind das A und O!

Seine Kraftquellen sind seine Familie sowie mentale und körperliche Anstrengung: „Entscheidend ist, etwas vor zu haben, eine Aufgabe zu haben und wenn es für mich nur darum geht, z.B. für andere schwere Kisten zu schleppen.“ Er findet, „Motivation und soziale Kontakte sind das A und O!“ Zum Beispiel bereitet es ihm großen Spaß, zusammen mit seinem Freund Brennholz zu machen: „Dann kann ich mehrere Stunden durcharbeiten, ohne auch nur einen kleinen Moment von meiner Krankheit gestört zu werden – manchmal vergesse ich glat, meine Medikamente zu nehmen.“

Hoffnung auf Forschung

Herr Sallhofen plädiert dafür, dass mehr Parkinson-Forschung betrieben wird. Besonders liegt ihm die Erforschung der Wirkung von Nikotin am Herzen: „Ich hoffe, dass die Forschung einen Weg findet, Parkinson zumindest leichter zu machen. Ich finde es wichtig, dass erforscht wird, was es mit der Wirkung des Nikotins auf sich hat.

Vielleicht können andere „Parkinsonler“ davon profitieren!“ Er wünscht sich, dass alle Menschen die Parkinson-Forschung mit Spenden unterstützen, denn „solange es ein Fünkchen Hoffnung gibt, dass man diese Krankheit irgendwann aufhalten oder gar heilen kann, ist es auf jeden Fall sinnvoll, dies zu unterstützen! Besonders, da die Anzahl der Betroffenen, und das vor allem in jungen Jahren, immer weiter steigt.“ Die Parkinson-Forscher bittet er: „BITTE WEITERMACHEN, NICHT AUFGEBEN!!!“

Ich sehe Parkinson als Teil von mir.

Befl ügelnde Worte

Patienten rät er: „Nicht den Mut verlieren, nach vorne schauen und öfters mal lachen!“ und sich immer auf etwas zu freuen: „Mich beflügelt das total!“. Angehörige wiederum bittet er zu bedenken: „Niemand sucht sich seine Krankheit aus!“

Diesen Artikel teilen