Silke Kind (57) lebt seit 10 Jahren mit Parkinson, und das Wörtchen „mit“ nimmt sie wörtlich: „Der Parkinson“, wie sie ihren ständigen Begleiter nennt, ist Teil ihres Alltags geworden und hat ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt – neben den Einschränkungen, die die Krankheit mit sich bringt, auch im positiven Sinne.
Die Diagnose Parkinson traf Silke 2013 völlig unvorbereitet: Nachdem sie Veränderungen an ihrer Handschrift festgestellt hatte, wandte sie sich zunächst an ihren Hausarzt. „Ich konnte plötzlich nicht mehr richtig schreiben und musste mich bewusst darauf konzentrieren, die Bögen hinzubekommen. Ich hatte gleich das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, aber ich rechnete überhaupt nicht damit, dass eine Krankheit dahinterstecken könnte. Schließlich landete ich beim Neurologen, und ein DAT-Scan zeigte, dass eine meiner Hirnhälften nicht mehr voll funktionsfähig war.“ Mit der Diagnose Parkinson konnte Silke zunächst wenig anfangen, denn sie wusste kaum etwas über die Krankheit. „Mein Neurologe riet mir damals davon ab, mich im Internet über Parkinson zu informieren, und das habe ich eine ganze Zeit lang durchgehalten. Stattdessen habe ich mich online bei Selbsthilfegruppen informiert und Rat bei Betroffenen geholt. Dort hat man mir bestätigt: ´Du hast deinen eigenen Parkinson und musst selbst Erfahrungen sammeln. Bei jedem verläuft die Krankheit anders.´ Das hat mir damals sehr viel Mut gemacht.“
Silke nimmt sich Zeit, um selbst mit der neuen Situation fertig zu werden und beruhigt ihre Familie, dass die Krankheit gut behandelbar ist. Anderen erzählt sie zunächst einmal nichts von ihrem Parkinson. „Ich sah keinen Grund dafür, meine Krankheit an die große Glocke zu hängen und wollte vermeiden, dass Leute unsere Kinder darauf ansprechen. Aber das Geheimhalten war wie ein Paket, das immer schwerer wurde. Mit der Zeit wurde die Last auf meinen Schultern unerträglich“. Als Silke die ersten sichtbaren Symptome entwickelt und ihre Umwelt bemerkt, dass sie nach langem Sitzen beim Aufstehen manchmal schwankt, fällt ihr Entschluss: „Ich habe permanent die Blicke der anderen auf mir gespürt, und es fiel mir immer schwerer, mich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dazu kam, dass ich zwei der Medikamente nicht gut vertrug und sich meine Persönlichkeit sehr verändert hatte. Nachdem ich die Medikamente mit Hilfe meiner Neurologin abgesetzt hatte, wurde mir klar, dass sich etwas ändern musste!“. Silke erzählt Freunden und Bekannten offen von ihrer Parkinson-Erkrankung. „Von dem Tag an ging es mir deutlich besser. Es war, als ob ein neues Leben für mich begann!“
Was danach folgte, ist für Silke heute immer noch wie ein kleines Wunder.
„Ich hatte von Kindesbeinen an bis ins Erwachsenenalter sehr intensiv Tischtennis gespielt. Als meine Kinder älter wurden und selbst Freizeitaktivitäten entwickelten, hing ich den Sport an den Nagel – auch bedingt durch die neuen Regeln, die mir nicht als förderlich für Tischtennissport erschienen. Ich wollte nie wieder spielen.“ Es vergingen 15 Jahre, bis Silke schließlich doch zum Tischtennis zurückkehrt. „Irgen
dwann las ich in dem Selbsthilfe-Forum PARKINonLINE immer mehr über die Initiative PingPongParkinson. Ich blieb aber skeptisch, denn ich dachte ´Da denkt wieder jemand, er hätte das Rad neu erfunden. Dabei ist es nur normales Tischtennis für Parkinson Erkrankte`. Dass es viel mehr war als das, begriff ich erst einige Zeit später. In einem Telefonat mit einem der Gründer von PingPongParkinson Deutschland wurde mir versichert, dass Tischtennis bei Parkinson hilft, doch so richtig glauben konnte ich es immer noch nicht.“
Bei der erstbesten Gelegenheit greifen Silke und ihr Mann zum Tischtennisschläger und wagen vorsichtig eine Runde. Silke berichtet: „Es war wirklich erstaunlich. Wir haben ganz normal gespielt, und ich fühlte mich wie früher ohne meine Krankheit. Zuerst dachte ich, es ist Zufall oder ich bilde es mir ein, aber auch die nächsten Male, als ich spielte, war das Gefühl wieder da. Meine Krankheit war plötzlich weg, und mit der Zeit gelangen mir immer mehr gute Bälle!“
Silke nimmt spontan Kontakt mit ihrem altem Tischtennisverein in Fulda auf und fragt: “Ist es in Ordnung, wenn ich wieder trainiere und jemanden mitbringe?“ Sie meinte ihren Begleiter Parkinson. Der Verein ist sofort einverstanden, und Silke gründet mitten in der Coronazeit den PingPongParkinson-Stützpunkt Fulda. Inzwischen zählt die Gruppe 21 Mitglieder (die meisten mit, aber auch einige ohne Parkinson), die einmal wöchentlich gemeinsam trainieren. Es spricht sich schnell herum, wie gut Tischtennis Parkinson-Betroffenen tut, und die Gruppe findet immer mehr Zulauf. „Es ist wirklich absolut erstaunlich: Menschen, die zum ersten Mal mit traurigem Blick zu uns ins Training kommen, gehen mit einem breiten Lächeln im Gesicht wieder nach Hause – fast, als ob sie einen Schatz gefunden hätten!“, berichtet Silke begeistert. Neben dem Sport bieten die regelmäßigen Treffen den Betroffenen auch viel Gelegenheit zum geselligen Miteinander und zum Austausch von Erfahrungen. „Jeder von uns hat natürlich auch mal Tage, an denen wir am liebsten auf dem Sofa liegenbleiben und nichts machen würden. An solchen Tagen erinnere ich mich einfach daran, dass ich mit meinen vielen Mitsportlern verabredet bin. Ich überwinde mich immer wieder und zwinge mich, in die Gemeinschaft und zum Training zu gehen“, erzählt Silke. „Dann geht es mir gleich besser!“
Seit 2020 trainiert Silke mindestens zweimal pro Woche, vor Wettkämpfen sogar deutlich öfter. Sie macht sich schnell einen Namen in der Parkinson-Tischtenniswelt, und es folgt ein sportlicher Erfolg nach dem anderen: Sie gewinnt verschiedene Titel bei den Offenen Deutschen Meisterschaften und Weltmeisterschaften, wie zuletzt bei der WM 2023 in Österreich die Goldmedaille im Mixed sowie die Bronzemedaille im Damen Doppel gemeinsam mit ihren jeweiligen Partnern. Außerdem konnte sie hier eine Bronzemedaille im Damen Einzel verbuchen. Neben ihren sportlichen Leistungen setzt sich Silke unermüdlich ehrenamtlich für PingPongParkinson und Betroffene ein: Sie ist Mitglied im Vorstand, berät Betroffene in punkto Ernährung und Selbstmanagement und kämpft für mehr Aufmerksamkeit für das Thema Parkinson in der Öffentlichkeit. Sie knüpft Kontakte zu Wissenschaftlern, die monatlich Vorträge bei PingPongParkinson halten und wirbt beim Bundestag für Forschungsgelder. Ein Fulltime-Job, der manchmal anstrengend, aber vor allem schön ist. Neben dem persönlichen Kontakt gibt es auch eine Online-Community mit tausenden tischtennisbegeisterten Parkinson-Betroffenen auf der ganzen Welt, in der Silke aktiv ist. „Mein Leben ist so bunt und abwechslungsreich geworden“, sagt Silke über ihre ´Karriere mit Parkinson´, wie sie ihr neues Leben liebevoll nennt. „Ich bin unheimlich viel unterwegs und habe so viele interessante Menschen kennengelernt – das hätte ich früher nie für möglich gehalten! Neben den vielen persönlichen Kontakten spreche ich auf Facebook regelmäßig mit tischtennisbegeisterten ´Parkis` in der ganzen Welt, von Schweden über USA, Brasilien und Portugal bis Japan. Wir helfen uns gegenseitig und lachen und weinen miteinander über Parkinson. Das ist einfach wahnsinnig schön!“
PingPongParkinson hat mehr als 1.500 aktive Mitglieder und etwa 180 Stützpunkte in ganz Deutschland. Auch Betroffene, die bisher nicht sportlich aktiv waren, sind herzlich willkommen: Für jedes Niveau gibt es ein entsprechendes Angebot. Informationen zu Trainingsmöglichkeiten und weiteren Beratungsangeboten rund um das Thema Parkinson finden Sie auf https://www.pingpongparkinson.de/ oder wenden Sie sich an
PingPongParkinson Deutschland e.V.
Postanschrift:
Korbweidenweg 5
D-48531 Nordhorn
Geschäftsstelle:
Barbarastraße 15
D-48529 Nordhorn
Tel.: +49 5921 712 0541
E-Mail: info@pingpongparkinson.de